Ein Denkmal für die Zukunft

Es wäre wohl leicht untertrieben, Tetsuya Matsuda als erfolgreichen Geschäftsmann zu bezeichnen. Matsuda ist Chef des lokalen Mazda Händlerbetriebs Hiroshima Mazda – und seit er das Unternehmen vor rund 20 Jahren übernommen hat, ist der heute 53-Jährige damit beschäftigt, sein Geschäft zu diversifizieren. Zu seiner ständig wachsenden Dynastie, die inzwischen rund 30 Unternehmen umfasst, gehören nicht nur Mazda Autohäuser, sondern auch Hotels, Okonomiyaki-Restaurants und vieles mehr.


„Unser Unternehmen ist der älteste Mazda Händlerbetrieb der Welt“, erzählt Matsuda. „Es wurde 1933 von meinem Großvater Soya Matsuda gegründet, dem zweiten Sohn von Jyujiro Matsuda, dem tatsächlichen Gründer des Unternehmens Toyo Kogyo, aus dem später Mazda hervorgegangen ist. 


Doch die Gebäude und Anlagen wurden 1945 durch die Atombombe in Schutt und Asche gelegt, der damalige Präsident Soya Matsuda und alle seine Mitarbeiter kamen ums Leben. Dank der unglaublichen Unterstützung durch die örtliche Gemeinschaft haben wir es geschafft, wieder dorthin zurückzukehren, wo wir jetzt sind.“

Aus diesem Grund fühlt sich Matsuda der Stadt verpflichtet. Als er mit 36 Jahren den Chefposten übernahm, wollte er den Menschen in Hiroshima etwas zurückgeben. „Die gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen war damals ein großes Thema“, erinnert sich Matsuda. „Jeder wollte sich engagieren. Für Unternehmen aus der Autobranche war es üblich, für jedes verkaufte Auto einen Baum zu pflanzen, um so einen Beitrag zum Umweltschutz zu leisten.“

Matsuda hingegen fand, dass das Pflanzen eines Baumes für jedes verkaufte Auto nicht viel bringt. Bei Themen wie dem Klimawandel sollten internationale Marken und Unternehmen eine Führungsrolle übernehmen. Er entschied sich stattdessen, mehr für die Menschen vor Ort zu tun. „Hiroshima stand für uns immer an erster Stelle, also haben wir uns auf unsere Wurzeln besonnen und überlegt, was wir tun können, um die lokalen Gemeinschaften und ihre Aktivitäten zu unterstützen.“

Das fehlende Puzzleteil

Als prominenter Wirtschaftsführer in Hiroshima war Matsuda an verschiedenen Aktivitäten und Organisationen beteiligt, die sich mit dem Gedenken an den Krieg beschäftigen, und erlebte die lokalen Friedensbewegungen hautnah mit. Er ist der Meinung, dass die Gräuel des Krieges nicht in Vergessenheit geraten dürfen, aber ihm wurde auch klar, dass Hiroshima etwas ebenso Wichtiges fehlen könnte: die Fähigkeit, in die Zukunft zu blicken.

Der Orizuru Tower in Hiroshima (Mitte, rechts) überblickt das Friedensdenkmal (links).
Es ist auch als Atombombenkuppel bekannt und wurde 1996 zum UNESCO-Weltkulturerbe ernannt.

Eine ganze Reihe von Denkmälern und Gebäuden in Hiroshima sind dem Gedenken an den Atombombenabwurf und die Opfer gewidmet, darunter die berühmte Atombombenkuppel und das Friedensmuseum, die jedes Jahr von über einer Million Menschen besucht werden. Allerdings, so Matsuda, gibt es keine, die das heutige Hiroshima zeigen.

„Es besteht kein Zweifel, dass es wichtig ist, zurückzublicken. Die Stimmen der Opfer haben so viel Gewicht, wenn sie über den Krieg und den Weltfrieden sprechen“,

sagt Matsuda.

„Hiroshima ist die Fürsprecherin des Friedens. Doch die Stadt muss der Welt auch zeigen, wie viel wir seit dem Krieg erreicht haben und was wir für die Zukunft planen.“

Genau das sah Matsuda als seine Aufgabe an und suchte nach Möglichkeiten, dies zu erreichen. Im Jahr 2009 fand er die perfekte Lösung: ein zwölfstöckiges Gebäude, das heute als Hiroshima Orizuru Tower bekannt ist.

Eine überwältigende Aussicht

Der Hiroshima Orizuru Tower wurde 2016 eröffnet. Das Büro- und Einzelhandelsgebäude befindet sich neben dem Friedenspark, einer 12.000 Quadratmeter großen Freifläche, die dem Gedenken an die Opfer des Atombombenabwurfs gewidmet ist. Der Name Orizuru bedeutet Origami-Papierkranich – ein japanisches Friedenssymbol. Im Erdgeschoss gibt es ein Café und einen Laden für lokale Produkte sowie einen Ausstellungsraum, der die Geschichte von Hiroshima erzählt. Die Besonderheit des Turms ist jedoch die Aussichtsplattform auf der obersten Etage.

 

„Man kann ihre unglaubliche Entschlossenheit förmlich spüren. Die Stadt ist jetzt ein Symbol für die menschliche Kraft.“

 

Früher hatte das Gebäude einer Versicherungsgesellschaft gehört, und als es zum Verkauf stand, schlug ein Geschäftspartner Matsuda vor, es sich anzusehen. Er ging zwar hin, hatte aber nicht die Absicht, es zu kaufen – es war ihm zu teuer. Doch die Aussicht aus dem obersten Stockwerk änderte schlagartig seine Meinung.

 

„Wir können immer zurückblicken, aber wir müssen auch nach vorne schauen, denn Hiroshima hat so viel mehr zu bieten.“

„Als ich auf dem Dach stand, verliebte ich mich in die Aussicht auf die Stadt“, erinnert sich Matsuda. „Es war mehr als beeindruckend. Ich sah die Atombombenkuppel unter mir und dahinter die Stadt. Man konnte auch eine Reihe von Bergen sehen, die die Stadt umgeben. Mein erster Gedanke war: Das muss jeder sehen! Es macht einen sprachlos, wenn man an die Anstrengungen der Einheimischen denkt, die ihre Stadt in den letzten 70 Jahren wieder aufgebaut haben. Man kann ihre unglaubliche Entschlossenheit förmlich spüren. Die Stadt ist heute ein Symbol für die menschliche Kraft.“

In diesem Moment beschloss er, das Gebäude zu kaufen, koste es, was es wolle: Seine Leidenschaft für Hiroshima war stärker als sein Geschäftssinn. „Ich glaubte, dass wir dieses Gebäude in ein neues Wahrzeichen verwandeln könnten, das der Stadt noch gefehlt hat und das für die Zukunft Hiroshimas steht. Jeder sollte diese Aussicht von oben sehen. Wir können immer zurückblicken, aber wir müssen auch nach vorne schauen, denn Hiroshima hat so viel mehr zu bieten als sich nur mit der Vergangenheit zu beschäftigen“, sagt Matsuda.

Hinter der gläsernen Orizuru Wall im Inneren des Orizuru Tower sind zahllose Papierkraniche zu sehen, die von Besuchern aus der ganzen Welt gefaltet und gespendet wurden. Orizuru - ori („gefaltet“) und tsuru („Kranich“) - ist die traditionellste Form des japanischen Origami und inspirierte Matsuda zur Namensgebung für den Turm.

Es dauerte fast sieben Jahre, das Gebäude in den Orizuru Tower zu verwandeln. Es war die Mühe wert, sagt Matsuda: „Das Projekt nahm viele unerwartete Wendungen, und ich habe immer großen Druck gespürt. Aber es war richtig, es zu machen, und es ist definitiv das größte Projekt, das ich für meine Heimatstadt tun konnte!“