Miller-Cycle-Motor - Das Motor-Meisterstück

  • Motorenprinzip aus dem Schiffbau wird von Mazda erstmals in Großserien-Automobil eingesetzt
  • Aus relativ wenig Hubraum viel Leistung schöpfen und gleichzeitig Schadstoffausstoß und Verbrauch senken
  • Einlassventil schließt erheblich später als bei herkömmlichen Ottomotoren

Sein elegantes Design mit fast schon coupéartiger Linienführung kündet von Noblesse und einem Hauch Avantgarde. Trotz stattlicher Außenmaße wirkt der fein gezeichnete Xedos 9 im Straßenbild grazil, leichtfüßig und edel. Für standesgemäßen Antrieb im Xedos 9 sind zunächst kräftige und kultivierte 2,0- und 2,5-Liter-V6-Benziner verantwortlich. Weltweites Aufsehen weckt das Mazda Spitzenmodell der 1990er Jahre jedoch erst mit einer Motorisierung, die der Automobilbau so noch nicht erlebt hat. Diesmal ist es kein Rotarier, den Mazda als Weltneuheit präsentiert, sondern der Miller-Cycle-Motor.

Die ingenieurstechnische Meisterleistung erlebt 1995 ihren Marktstart, zwei Jahre nach der Einführung des Xedos 9. Ein Motorenprinzip, das bis dahin vor allem im Schiffbau bekannt war und von Mazda erstmals in einem Großserien-Automobil eingesetzt wird.

Das Miller-Konzept ermöglicht es, aus relativ wenig Hubraum viel Leistung zu schöpfen und gleichzeitig Schadstoffausstoß und Verbrauch zu senken. Die Arbeitsweise des Miller-Cycle-Triebwerks ist der des Otto-Viertaktmotors im Wesentlichen nicht unähnlich. Doch bei der von Mazda gewählten Version des Miller-Prinzips für den 155 kW/211 PS leistenden 2,3-Liter-V6-Motor des Xedos 9 schließt das Einlassventil erheblich später als bei herkömmlichen Ottomotoren. Das heißt: Wenn der Kolben sich nach dem Ansaugtakt bereits wieder aufwärts bewegt, bleibt der Einlass bis zu einem Kurbelwellenwinkel von 70 Grad nach dem unteren Totpunkt geöffnet. Das entspricht etwa einem Drittel des Hubs. In dieser Zeit wird ein Teil des unverbrannten Benzin/Luft-Gemisches wieder zurück in den Einlasskanal geschoben. Erst dann schließt das Einlassventil und die Verdichtung beginnt. Das Kompressionsverhältnis ist also niedriger als das Expansionsverhältnis, denn nach der Zündung arbeitet der Kolben über den gesamten Hub. Die Vorteile dieser Lösung sind ein hoher thermischer Wirkungsgrad und geringe Klopfneigung durch niedrigeren, maximalen Zylinderdruck. Demzufolge bleibt die Abgastemperatur niedriger, wodurch weniger Schadstoffe, besonders Stickoxide (NO x), entstehen.

Allerdings hat der Motor weniger Füllung. Den Füllungsverlust gleicht Mazda mit einem Lader aus. Diese Vorgehensweise wählt schon der Erfinder Ralph Miller, nach dem die Motorentechnik benannt ist. Der Motor bekommt so weit mehr Kraftstoff-/Luft-Gemisch eingeblasen, als er aus eigener Kraft ansaugen kann.

Üblicherweise sorgen bereits in den 1990er-Jahren Abgasturbolader für den Druck, der dem Motor die Arbeit des Ansaugens abnimmt. Bei dem Miller-Cycle-Motor von Mazda ist das aus zwei Gründen anders. Zum einen soll der Ladedruck bereits bei niedrigeren Motordrehzahlen zur Verfügung stehen. In diesem Bereich liefert ein sparsamer Motor mit relativ kleinem Hubraum zum Antrieb einer leistungsfähigen Turbine jedoch nicht genügend Abgasenergie. Zum anderen ist das Ansprechverhalten eines Turboladers damals noch oft unzureichend, weil der Ladedruck mit zeitlicher Verzögerung aufgebaut wird – gegen das sogenannte „Turbo-Loch“ werden erst in späteren Jahren andere Lösungen gefunden. Für Mazda kommt nur ein mechanisch getriebener Lader in Frage. Unter den zahlreichen Systemen erweist sich der Lys-holm-Lader als erste Wahl. Er liefert über einen weiten Drehzahlbereich konstant hohen Druck, läuft leiser als andere mechanische Lader und verfügt über den besten Wirkungsgrad. Mit bis zu 2 bar (1 bar Überdruck) presst der Lysholm-Lader das Gemisch in die Zylinder des Mazda-Miller-Motors.

Ein weiteres Meisterstück der Mazda-Ingenieure: Der 2,3-Liter-Miller-Motor des Xedos 9 bietet als erster den Effekt einer veränderbaren Verdichtung. Bei Otto-Motoren sind der Aufladung durch die hohen Temperaturen, die bei der Verdichtung entstehen, Grenzen gesetzt. Das Kraftstoff/Luft-Gemisch neigt zum vorzeitigen Zünden, dem sogenannten „Klopfen“. Deshalb sind herkömmliche Benziner mit Aufladung deutlich niedriger verdichtet als Saugmotoren. Während für die konventionellen Benziner Mitte der 1990er Jahre meist ein Verdichtungsverhältnis von bis zu 10:1 gewählt wird, sind Turbotriebwerke meist nur 8:1 verdichtet. Im Prinzip ist diese Rücksicht auf die Klopfgrenze aber nur bei Volllast notwendig, im Teillastbereich kann die Verdichtung ohne Klopfgefahr höher sein. Deshalb entwickelt Mazda eine variable Verdichtung. Eine praxisgerechte Konstruktion gab es bis zum Mazda-Miller-Cycle nicht. Dieser läuft ohne Klopfgefahr mit einem geometrischen Verdichtungsverhältnis von 10:1.

Infolgedessen liegt der Kraftstoffverbrauch bei Teillast, dem häufigsten Betriebszustand eines Automotors, zwei bis drei Prozent unter dem eines Saugmotors mit gleichem Hubraum, aber erheblich weniger Leistung. Oder: Verglichen mit einem konventionellen Motor gleicher Leistung, verbraucht der Mazda-Miller-Cycle-Motor zehn bis 15 Prozent weniger Kraftstoff.

Einmal mehr beweist Mazda mit der Entwicklung des Miller-Motors den Mut, eigene Wege zu gehen bei der Suche nach optimierten Alternativen zu etablierten Motorentechniken. Doch Mut wird nicht immer belohnt und der technische Geniestreich „Miller-Motor“ soll nicht von Erfolg gekrönt sein. So bleibt beim 2,3-Liter-V6 des Xedos 9 die ganz große Publikumsresonanz aus. Anders als ursprünglich vorgesehen wird das Miller-Prinzip deshalb nicht auf andere Triebwerke des Mazda Motorenprogramms übertragen.